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Toni Ebel, Selbstbildnis (1955).
Copyright: Museum Utopie und Alltag, Beeskow.
Foto: Thomas Kläber
Öl auf Hartfaser
Maße im Original: 24 × 32 cm (40 × 49 cm mit Rahmen)

Als die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft 1982 im damaligen West-Berlin gegründet wurde, stand man noch immer vor einem Scherbenhaufen. Das Wissen um den Berliner Arzt und Sexualwissenschaftler Hirschfeld, sein Institut für Sexualwissenschaft und dessen Umfeld war weitgehend verloren. Die Nazis hatten ihren Vernichtungsfeldzug gegen die emanzipatorischen Bestrebungen von Menschen, die wir heute im Spektrum LSBTIQA+ verorten würden, ab 1933 so gnadenlos und „effektiv“ durchgeführt, dass es fünfzig Jahre später noch immer schwer fiel, an das Erbe Hirschfelds und seiner Mitstreiter*innen anzuknüpfen oder es überhaupt in den Blick zu nehmen. Es brauchte Jahre, bis in mühsamer Kleinarbeit das verloren gegangene Wissen um die Emanzipationsbewegung von vor 1933 wenigstens in groben Zügen wieder erfahrbar wurde.

Heute sind wir glücklicherweise ein paar Schritte weiter, wenngleich der Name Toni Ebel den meisten nach wie vor nicht geläufig sein dürfte. Im Rahmen der Recherchen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft tauchte er erst 2001 auf, als eine Zeitzeugin erwähnte, Toni Ebel habe sich als eine der ersten Personen weltweit im Institut für Sexualwissenschaft geschlechtsangleichenden Operationen unterzogen. In der Frühzeit der DDR genoss Toni Ebel als Malerin einen gewissen Bekanntheitsgrad, 1956 wurde sogar eine Retrospektive mit fünfzig ihrer Bilder gezeigt, die alle nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden waren. Das Thema Trans* kam in ihren Werken der frühen Nachkriegszeit nicht zum Tragen. Toni Ebel verstand sich zwar als politische Künstlerin, aber die Kategorie Geschlecht spielte in ihren Gemälden und Grafiken jener Zeit keine vordergründige Rolle.

Im Wissen um Toni Ebels Lebenslauf und um die Besonderheiten in ihm, über die sie selbst in späten Jahren nicht redete, können wir ihre Werke heute vielleicht mit anderen Augen sehen als die meisten ihrer Zeitgenoss*innen. Doch wissen wir über sechzig Jahre nach Toni Ebels Tod nicht einmal, was aus den Werken geworden ist, die 1956 im Märkischen Museum ausgestellt wurden, geschweige denn, ob einzelne oder mehrere ihrer Bilder von vor 1945 erhalten sind. Nach ihrem Tod im Jahr des Berliner Mauerbaus wurde es auch in der DDR wieder still um Toni Ebel. Ihre Arbeiten wurden, soweit bekannt, nicht mehr öffentlich gezeigt, überdauerten in Privatbesitz und fielen in Archiven dem Vergessen anheim.

Wir stehen also wieder oder noch immer an einem Anfang – wenngleich diesmal anderer Art: Nach der Rekonstruktion von Toni Ebels Lebensweg sind wir nun herausgefordert, ihre Bilder wiederzufinden. Wenn wir heute immerhin knapp zwanzig Werke Ebels – zum Teil  in Form von zeitgenössischen fotografischen Reproduktionen – im Rahmen einer Ausstellung vorstellen können, tun wir dies in dem Bedürfnis, ein weiteres Zeugnis der noch immer weitgehend verborgenen Trans*-Geschichten sichtbar zu machen. 

Die Vielstimmigkeit von Toni Ebels Lebenswegs versuchen wir auf dieser Website zu zeigen: Neben der rekonstruierten Biografie finden sich auch zeitgenössische Textpassagen sowie in Ausschnitten die von Toni Ebel selbst geschilderte Version ihres Lebens – ein disparates Bild gelebter Realität. In den Texten tauchen Begrifflichkeiten auf, die verletzend oder irritierend wirken können. Wir haben mitunter den historischen Sprachgebrauch beibehalten, wie er zu Lebzeiten Toni Ebels üblich war – nicht um die darin enthaltene Diskriminierung fortzuführen, sondern um sie sichtbar zu machen.

Für die großartige und wohlwollende Unterstützung bei der Vorbereitung und Erstellung der Ausstellung im Sonntags-Club wollen wir uns bei vielen Freund*innen bedanken. Wir können sie nicht alle namentlich nennen, fühlen uns aber insbesondere all denen verbunden und zu Dank verpflichtet, die im Umfeld der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V., dem Sonntags-Club e.V. und der Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung zum Werden dieser Ausstellung beigetragen haben. Herzlichen Dank!

Esra Paul Afken und Raimund Wolfert

Mehr über Toni Ebel und die ihr gewidmete Ausstellung im Sonntags-Club e.V. wird es laufend auf dieser Website geben.

Toni Ebel1881–1961, Malerin – eine Spurensuche
Eine Ausstellung der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. in Zusammenarbeit mit dem Sonntags-Club e.V.

Eröffnung: 24. September 2022, 18:30 Uhr
Laufzeit: 25. September 2022–31. Januar 2023
Ort: Sonntags-Club e.V., Greifenhagener Str. 28, 10437 Berlin
Öffnungszeiten: täglich ab 18:00 Uhr